Wohnen
Türme-Visionen im Theatersaal

Rund 100 eingeladene Gäste lauschten am Mittwochabend der spannenden Dialogreihe „stadt.gestalten“, einer Veranstaltung des Gestaltungsbeirats der Stadt Aachen, des Dezernats für Stadtentwicklung, Bau und Mobilität und dem Studierendenwerk. Das Thema des Abends, das im Theatersaal von wahren Hochkarätern präsentiert wurde: Bauen im Bestand am Beispiel der Studierendenwohntürme an der Rütscher Straße, die in den kommenden Jahren von Grund auf umgestaltet und modernisiert werden sollen.
Als Mitglied des Gestaltungsbeirats und „Pate“ für die Veranstaltung umriss Kilian Kresing in seinem Einführungsvortrag den städtebaulichen Ansatz „Second Life. Weiterdenken – Weiterbauen“, der darauf abzielt, Bestehendes nach Möglichkeit zu erhalten und Transformationsprozesse des Um- und Weiterbauens zum Kerngeschäft der Baukultur zu etablieren. Wie das in Aachen gelingt, ohne den eigentlichen Stadtcharakter zu verlieren, zeigte er an einigen vielversprechenden Bauvorhaben.
Wertvolle Inspiration zum Thema hatte die renommierte Pariser Architektin Anne Lacaton vom Büro Lacaton & Vassal Architectes mitgebracht. Dieses versteht sich darauf, wertvolle Ressourcen zu nutzen und mit minimalen Eingriffen hohe Qualität zu schaffen. Bevor auf die Umgestaltung der vier Wohntürme eingegangen wurde, präsentierte sie dem interessierten Publikum eindrucksvolle Best-Practice-Beispiele aus ihrem Portfolio.
Wiederaufnahme einer „verjährten“ Wettbewerbsidee
Gegründet wurde das Architekturbüro Lacaton & Vassal von Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal, die sich dem Prinzip Umbau vor Abriss verschrieben haben. „Niemals abreißen, niemals entfernen oder ersetzen, immer hinzufügen, umgestalten und wiederverwenden" – mit ihrer Arbeit, die gleichzeitig sparsam und umgestaltend ist, passen sie bestehende Strukturen an, um den Bedürfnissen moderner städtischer Gemeinschaften gerecht zu werden. 2021 wurde das Büro mit dem Pritzker-Preis geehrt, der höchsten Auszeichnung für Architektur.
Bereits vor sechs Jahren beteiligte sich Lacaton & Vassal an einem Architekturwettbewerb, den das Studierendenwerk gemeinsam mit der Stadt Aachen für die Umgestaltung der sanierungsbedürftigen Wohntürme in der Rütscher Straße ausgeschrieben hatte. In dem damaligen Siegerentwurf vergrößerten die Architekten die Innenfläche der Wohneinheiten durch „Extensions“ an der ursprünglichen Fassade und erweiterten somit die gesamte Wohnfläche der Gebäude, ohne dabei ihre Grundstruktur zu verändern. Projektbeteiligt war der damals Zweitplatzierte, Professor Pablo Molestina, der an diesem Abend ebenfalls anwesend war und den damals „sang- und klanglos in der Kiste verschwundenen“ Entwurf mit erläuterte.
Sebastian Böstel, seit 2020 Geschäftsführer des Studierendenwerks und Betreiber der vier Wohntürme, lässt das Projekt Umgestaltung Rütscher Straße nun wieder aufleben. Gemeinsam mit dem Team von Lacaton & Vassal und Pablo Molestina veranlasste er im vergangenen Jahr weitere Machbarkeitsstudien, um die Neuauflage dieses „Leuchtturmprojekts“ und des dazugehörigen Areals am Lousberg weiter voranzutreiben. Ein Projekt, für dessen Wiederaufnahme sich auch Frauke Burgdorff, Stadtbaurätin in Aachen, und Hubertus Schäfer, Landschaftsarchitekt und Vorsitzender des Gestaltungsbeirat, sofort begeistern ließen.
Die Veranstaltung an sich wertete Böstel als ein gutes Zeichen dafür, dass sich das Studierendenwerk nach Jahren des Stillstands wieder in Richtung Stadt öffnet und die Kooperation sucht, um an gemeinsamen Projekten zu arbeiten. Diese seien dringend notwendig: Gut 6.000 Bewerberinnen und Bewerber habe das Studierendenwerk auf der Warteliste zu verzeichnen. „Der studentische Wohnungsmarkt ist nach wie vor sehr angespannt. Ein Drittel der Bewerber sucht akut eine Unterkunft,“ so Böstel. Aufgrund seiner sozialen Aufgabe müsse das Studierendenwerk seine Wohnkapazitäten ausbauen und dabei insbesondere die Modernisierung/Erweiterung seiner Bestandsbauten in den Fokus nehmen. Eine Sisyphosaufgabe: Da die meisten der 24 Wohnheime aus den 60er-,70er- und 80er-Jahren stammen und eine entsprechend schlechte Bausubstanz aufweisen, habe man seit Jahren mit Sanierungsstaus zu kämpfen.
Attraktiver und bezahlbarer Wohnraum, der den heutigen Ansprüchen der Studierenden Rechnung trägt, sei nur unter Einbeziehung innovativer und wirtschaftlicher Gestaltungsideen für Bestandsbauten realisierbar, betonte Böstel. Er zeigte sich deswegen außerordentlich dankbar, bei diesem Vorhaben auf die Partnerschaft der Stadt Aachen und die Expertise der erfreulich „unprätentiösen“ Architekturbüros bauen zu können.
Nach den Vorträgen führte Gastgeberin Frauke Burgdorff durch eine lebhafte Diskussionsrunde. Ihr gehörte auch das Schlusswort des Abends. Darin betonte sie, dass Aachen eine „Umbau-Stadt“ sei, ihr Wert im Bestand liege und somit große Chance biete. Sie sei sicher, dass die Stadt durch die Umsetzung des Türme-Projekts eine wichtige Vorreiterrolle übernehmen könne.